Montag, 9. März 2020

Lieblingskirche St. Severin

Habt ihr eine Lieblingskirche?
Eine auf Sylt?

Ich schon und ich tippe, dass viele von euch die gleiche Kirche nennen werden.
Aber ich mag nicht nur die Kirche selbst, sondern auch den Friedhof selbst. Er gibt viel Auskunft über das ALTE Sylt und ich liebe es, Dinge über die Insel zu lernen.

Wie gehabt, ist auch dieser Besuch in eine Geschichte eingebettet.
Habt Freude damit!


Schon während wir die Kerzen anzündeten, schaute ich immer wieder in Richtung der Kirchenbücher, die hinter uns auf einem Pult lagen. Aufregung machte sich in meinem Magen breit, als ich zwei Bücher auf dem Pult entdeckte. Hatten meine Briefe und Telefonate ihr Ziel erreicht? Wurde mir wirklich dieser außergewöhnliche Gefallen getan? Wurde ein altes und volles Besucherbuch eigens für mich hierher gelegt? Ich war gespannt und nervös, als wir vor den aufgeschlagenen Kirchenbüchern standen. Vor uns lagen zwei von den riesigen Büchern, in denen die Besucher der Kirche ihre Gedanken hinterlassen durften. Nachdem wir uns im rechten Buch verewigt hatten, fiel mein Blick auf das linke. Ganz deutlich war zu erkennen, dass die Einträge in diesem Buch schon einige Jahre alt waren. Ich blätterte in diesem Buch und stoppte im Monat Mai. Genau auf der Seite, auf der Smilla und ich uns damals verewigt hatten.

Aus meinen Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass Smilla ebenfalls dabei war, sich diese Seiten anzusehen.



Plötzlich hielt sie meine Hand nicht nur, sondern drückte fest zu. Fast gleichzeitig stieß sie mir mit ihrem Ellenbogen sanft in die Seite und deutete auf das Buch. Sie flüsterte noch leiser, als sie es vorhin getan hatte.

„Jonas, schau mal. Das musst du dir ansehen.“ Ihr Zeigefinger deutete auf einen Eintrag, den ich mir ebenfalls gerade ansah, obwohl er in meinem Gehirn fest eingebrannt war. Als Smilla ihn mir vorlas, kämpfte ich gegen meine Tränen, und ich war stolz darauf, dass ich meinen Kampf in diesem Moment auch gewann.



Hiermit verspreche ich dir, meiner Smilla, dass ich dich ganz bald hier auf Sylt, im Leuchtturm von Hörnum, heiraten werde. Ich liebe dich sehr. Dein Jonas



Fassungslos sah Smilla mich an. Dann sprach sie weiter.

„Wir beide stehen hier und entdecken in einem alten Kirchenbuch einen Eintrag von einem Jonas und einer Smilla. Hättest du so was für möglich gehalten?“

„Das Leben bietet manchmal merkwürdige Geschichten.“ Mehr konnte ich nicht sagen, da ich noch immer gegen meine Tränen ankämpfte.

„Schau mal, Jonas. Da steht noch was. Meine Namensvetterin hat auch noch geantwortet.“ Smilla hätte es mir nicht vorlesen müssen. Ebenso wie die Worte, die ich vor einigen Jahren in das Buch geschrieben hatte, kannte ich selbstverständlich auch noch immer ihre Sätze, die sie damals hinterlassen hatte. Trotzdem hörte ich aufmerksam zu, als Smilla weiter vorlas.

„Und hiermit verspreche ich dir, Jonas, dass ich auf keinen Fall NEIN sagen werde und ich mich auf unseren besonderen Tag sehr freue. Ich liebe dich auch. Deine Smilla“



Als wir an der Luft waren, versuchte ich unauffällig kräftig durchzuatmen. Es schien mir nicht gelungen zu sein, da Smilla mich etwas irritiert ansah.

„Alles gut mit dir?“

„Ja, alles gut. Ich brauchte nur frische Luft, irgendwie war es ein wenig stickig in der Kirche“, redete ich mich raus.

„Stickig? Das fand ich gar nicht.“ Damit war das Thema vom Tisch. Ich wunderte mich etwas darüber, dass Smilla ihre eigene Schrift nicht erkannt hatte. Irgendwie hatte ich es gehofft. Ja, tatsächlich gehofft, da es vielleicht einen weiteren Denkanstoß verursacht hätte. Leider konnte ich es nicht ändern und entschloss mich einfach dafür, mich zu freuen. Mich darüber zu freuen, dass wir wieder einen weiteren gemeinsamen Schritt unserer Vergangenheit neu erleben durften.

„Wirklich, Jonas. Es ist doch der Wahnsinn, dass wir beide hier etwas von Menschen gelesen haben, die die gleichen Namen wie wir tragen.“

„Das Leben ist halt verrückt.“ Ich lächelte meine kleine Tussi an.

„Fast so verrückt wie wir.“

„Wie wir?“ Ich wusste nicht genau, worauf Smilla hinauswollte.

„Na ja. Vor ein paar Tagen haben wir uns noch gar nicht gekannt, und jetzt verbringen wir täglich so viel Zeit miteinander. Sogar meine Eltern kennst du schon.“

„Ist es schlimm für dich?“ Ich zwinkerte, während ich mit einem gespielt enttäuschten Ton diesen Satz sagte.

„NEIN!“ Laut und deutlich vernahm ich diese vier Buchstaben und freute mich. Dann sprach Smilla weiter.

„Ganz im Gegenteil. Ich genieße jeden Augenblick und wundere mich darüber, dass es sich manchmal so anfühlt, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen.“ Nach diesen Worten hakte sie sich bei mir ein und wir machten uns auf den Weg nach draußen auf den Friedhof.




Wir gingen zu einer Skulptur, die ebenfalls für heute auf dem Programm stand. Als wir die Kirche verließen, mussten wir nur den hinteren Teil umrunden und ein paar Meter weitergehen, bis wir sie entdeckten.

Ihr Name lautete Komtur und sie stand ein wenig versteckt, direkt an einem Gebüsch.

Etwas zurückgezogen wirkte sie fast ein bisschen alleine an diesem Ort. Ich war mir sehr sicher, dass sie schon so manchem Besucher einen Schrecken in seine Glieder hatte fahren lassen. Immerhin war Komtur eine ziemlich unheimliche Skulptur. Nein, eigentlich war es gar keine richtige Skulptur. Fand ich zumindest. Schließlich war sie von innen hohl und bestand lediglich aus einem Umhang. Unter diesem Umhang steckte keine Figur. Nicht einmal ein Gesicht war zu sehen, was dieses Kunstwerk zu einem unheimlich wirkenden Objekt machte.

Allerdings wurde ich von Smilla eines Besseren belehrt. Komtur war ihrer Meinung nach sehr wohl eine Skulptur. Nur, weil der Umhang nicht gefüllt war, würde es nichts an der Betitelung Skulptur ändern. Da ich es nicht besser wusste und Smilla sich mit solchen Dingen schon immer ausgekannt hatte, widersprach ich lieber nicht.

Ich stellte nicht mal die Fragen, die mir seit eben unter den Nägeln brannten. Diese Fragen, die mir gerade immer und immer wieder durch den Kopf rauschten.

Woher wusste Smilla, dass es eine Skulptur war? Weshalb konnte sie sich ihrer Sache sicher sein? Warum hatte sie dieses Wissen?

An andere Dinge konnte sich Smilla ja schließlich auch nicht erinnern. Dann sah ich Smilla erstaunt an, als sie weitersprach.

„Lass uns noch kurz rüber zum Westeingang gehen. Da steht auch noch eine sehr interessante Skulptur.“

„Wie kommst du darauf?“ Unsicher stellte ich diese Frage. Ich überlegte, ob irgendwo ein Hinweisschild zu sehen gewesen war, das auf eine weitere Skulptur hinwies. Dass Smilla dieses Wissen daher hatte oder ob sie die Skulptur gesehen hatte, als wir ein paar Meter von ihr entfernt aus der Kirche gekommen waren. In unserem kleinen Heftchen brauchte ich nicht nachzusehen. Ich wusste, dass dort nichts von einer anderen Figur stand. Es gab kein Schild und auch keinen Tipp in meiner erstellten Broschüre, was dafür sorgte, dass ein Gemisch aus Freude und Nervosität in mir aufstieg. Vielleicht war es tatsächlich endlich ein positives Zeichen. Vielleicht ein kleiner Schritt auf dem Weg zum Erinnern.

Als wir bei der Skulptur angelangt waren, standen wir staunend davor. Während Smilla über die Skulptur selbst staunte, galt mein Staunen etwas anderem. Smilla hatte recht damit gehabt, dass es hier ein Kunstobjekt gab. Nein, sie hatte sich erinnert!

Da entweder kein Name am Sockel angebracht war oder wir zu blind waren, ihn zu entdecken, gingen wir langsam und Hand in Hand weiter.

Der Name der Skulptur fiel Smilla nicht ein. Da ich ebenfalls keine Ahnung hatte, versuchten wir ihn im Internet zu recherchieren.

„Hast du auch keine Verbindung?“ Smilla sah mich an.

„Nein.“ Nur ganz langsam baute sich eine Internetverbindung auf.

„Dann schauen wir nachher nach. Aber du musst mich daran erinnern.“ Smilla lächelte mich an.



Wir hatten das Kirchengelände schon verlassen und waren fast bei unseren Rädern angekommen, als Smilla abrupt stehen blieb. Ich konnte ihren Blick nicht definieren. Fast etwas entgeistert sah sie mich an und sagte lediglich ein einziges Wort.

„Totengedenken.“

„Was meinst du?“ Irritiert, was Smilla mir mit ihrem Wort sagen wollte, sah ich sie erschrocken an. Auf was für merkwürdige Gedanken war sie gekommen? Hätte ich nicht mit ihr auf diesen Friedhof gehen dürfen? Oder lag es an den Skulpturen? Vor allem Komtur wirkte ziemlich unheimlich. Hatte diese Skulptur meiner Smilla etwa Angst eingejagt?

„So ist ihr Name.“

„Das habe ich nicht gewusst. Cool, dann haben wir das ja auch geklärt.“

Ich hatte nicht begriffen, dass ich vor wenigen Minuten dabei sein durfte, als für Smilla etwas Großes passiert war. Etwas, was für mich und für fast alle anderen Menschen ganz normal war. Tatsächlich kapierte ich es erst, während ich das Schloss öffnete, mit dem wir unsere Fahrräder aneinander geschlossen hatten. Ja, ich verstand es erst, als Smilla dieses Wort ein weiteres Mal wiederholte.

„Totengedenken.“

„Ich weiß. Du hast es mir eben schon gesagt. Ich glaube, ich habe es jetzt …“ Weiter sprach ich nicht. Schlagartig wurde mir klar, was auch Smilla bewusst geworden war.


Smilla hatte sich, ohne dass es ihr jemand eingeredet oder erzählt hatte, an etwas aus der Vergangenheit erinnert. Von ganz alleine war sie auf den Namen einer Skulptur gekommen. Wir sahen uns an, und während wir gleichzeitig das Wort Totengedenken wiederholten, liefen uns Tränen über die Wangen.

Voller Stolz nahm ich Smilla in meine Arme und hielt sie einfach nur fest. Es gab so viele Dinge, die ich in diesem Moment hätte sagen können, und doch war ich nicht in der Lage, auch nur einen einzigen Satz auszusprechen. Einen Satz? Nein, ich schaffte es nicht, auch nur ein Wort über meine Lippen zu bringen.

Dafür schaffte ich es, Smilla immer dichter an mich heranzudrücken. Noch näher wäre nicht möglich gewesen. Nicht nur unsere Körper waren sich in diesem Moment sehr nahe. Auch unsere Herzen waren es. Selbst wenn es keiner von uns beiden aussprach, war ich mir sicher, dass auch Smilla so fühlte.

Sicherlich konnte Smilla meinen kräftigen Herzschlag durch unsere Kleidung hindurch fühlen. Mein Herz klopfte vor Freude so sehr, dass sie es einfach spüren musste.

Für immer dieser Moment. Diese Worte hatte ich in meinem Kopf, und ich überlegte, ob ich sie aussprechen sollte.


So, jetzt kennt ihr diesen tollen Ort und vielleicht habt ihr sogar etwas NEUES erfahren.

Liebe Grüße
Ben

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