Eine auf Sylt?
Ich schon und ich tippe, dass viele von euch die gleiche Kirche nennen werden.
Aber ich mag nicht nur die Kirche selbst, sondern auch den Friedhof selbst. Er gibt viel Auskunft über das ALTE Sylt und ich liebe es, Dinge über die Insel zu lernen.
Wie gehabt, ist auch dieser Besuch in eine Geschichte eingebettet.
Habt Freude damit!
Schon während wir die Kerzen
anzündeten, schaute ich immer wieder in Richtung der Kirchenbücher, die hinter
uns auf einem Pult lagen. Aufregung machte sich in meinem Magen breit, als ich
zwei Bücher auf dem Pult entdeckte. Hatten meine Briefe und Telefonate ihr Ziel
erreicht? Wurde mir wirklich dieser außergewöhnliche Gefallen getan? Wurde ein
altes und volles Besucherbuch eigens für mich hierher gelegt? Ich war gespannt
und nervös, als wir vor den aufgeschlagenen Kirchenbüchern standen. Vor uns
lagen zwei von den riesigen Büchern, in denen die Besucher der Kirche ihre
Gedanken hinterlassen durften. Nachdem wir uns im rechten Buch verewigt hatten,
fiel mein Blick auf das linke. Ganz deutlich war zu erkennen, dass die Einträge
in diesem Buch schon einige Jahre alt waren. Ich blätterte in diesem Buch und
stoppte im Monat Mai. Genau auf der Seite, auf der Smilla und ich uns damals
verewigt hatten.
Aus meinen Augenwinkeln konnte ich
erkennen, dass Smilla ebenfalls dabei war, sich diese Seiten anzusehen.
Plötzlich hielt sie meine Hand nicht
nur, sondern drückte fest zu. Fast gleichzeitig stieß sie mir mit ihrem
Ellenbogen sanft in die Seite und deutete auf das Buch. Sie flüsterte noch
leiser, als sie es vorhin getan hatte.
„Jonas, schau mal. Das musst du dir
ansehen.“ Ihr Zeigefinger deutete auf einen Eintrag, den ich mir ebenfalls
gerade ansah, obwohl er in meinem Gehirn fest eingebrannt war. Als Smilla ihn
mir vorlas, kämpfte ich gegen meine Tränen, und ich war stolz darauf, dass ich
meinen Kampf in diesem Moment auch gewann.
Hiermit verspreche ich dir, meiner
Smilla, dass ich dich ganz bald hier auf Sylt, im Leuchtturm von Hörnum,
heiraten werde. Ich liebe dich sehr. Dein Jonas
Fassungslos sah Smilla mich an. Dann
sprach sie weiter.
„Wir beide stehen hier und entdecken
in einem alten Kirchenbuch einen Eintrag von einem Jonas und einer Smilla.
Hättest du so was für möglich gehalten?“
„Das Leben bietet manchmal
merkwürdige Geschichten.“ Mehr konnte ich nicht sagen, da ich noch immer gegen
meine Tränen ankämpfte.
„Schau mal, Jonas. Da steht noch
was. Meine Namensvetterin hat auch noch geantwortet.“ Smilla hätte es mir nicht
vorlesen müssen. Ebenso wie die Worte, die ich vor einigen Jahren in das Buch
geschrieben hatte, kannte ich selbstverständlich auch noch immer ihre Sätze, die
sie damals hinterlassen hatte. Trotzdem hörte ich aufmerksam zu, als Smilla
weiter vorlas.
„Und hiermit verspreche ich dir,
Jonas, dass ich auf keinen Fall NEIN sagen werde und ich mich auf unseren
besonderen Tag sehr freue. Ich liebe dich auch. Deine Smilla“
Als wir an der Luft waren, versuchte
ich unauffällig kräftig durchzuatmen. Es schien mir nicht gelungen zu sein, da
Smilla mich etwas irritiert ansah.
„Alles gut mit dir?“
„Ja, alles gut. Ich brauchte nur
frische Luft, irgendwie war es ein wenig stickig in der Kirche“, redete ich
mich raus.
„Stickig? Das fand ich gar nicht.“
Damit war das Thema vom Tisch. Ich wunderte mich etwas darüber, dass Smilla
ihre eigene Schrift nicht erkannt hatte. Irgendwie hatte ich es gehofft. Ja,
tatsächlich gehofft, da es vielleicht einen weiteren Denkanstoß verursacht
hätte. Leider konnte ich es nicht ändern und entschloss mich einfach dafür,
mich zu freuen. Mich darüber zu freuen, dass wir wieder einen weiteren
gemeinsamen Schritt unserer Vergangenheit neu erleben durften.
„Wirklich, Jonas. Es ist doch der
Wahnsinn, dass wir beide hier etwas von Menschen gelesen haben, die die
gleichen Namen wie wir tragen.“
„Das Leben ist halt verrückt.“ Ich
lächelte meine kleine Tussi an.
„Fast so verrückt wie wir.“
„Wie wir?“ Ich wusste nicht genau, worauf
Smilla hinauswollte.
„Na ja. Vor ein paar Tagen haben wir
uns noch gar nicht gekannt, und jetzt verbringen wir täglich so viel Zeit
miteinander. Sogar meine Eltern kennst du schon.“
„Ist es schlimm für dich?“ Ich
zwinkerte, während ich mit einem gespielt enttäuschten Ton diesen Satz sagte.
„NEIN!“ Laut und deutlich vernahm
ich diese vier Buchstaben und freute mich. Dann sprach Smilla weiter.
„Ganz im Gegenteil. Ich genieße
jeden Augenblick und wundere mich darüber, dass es sich manchmal so anfühlt,
als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen.“ Nach diesen Worten hakte sie
sich bei mir ein und wir machten uns auf den Weg nach draußen auf den Friedhof.
Wir gingen zu einer Skulptur, die
ebenfalls für heute auf dem Programm stand. Als wir die Kirche verließen,
mussten wir nur den hinteren Teil umrunden und ein paar Meter weitergehen, bis
wir sie entdeckten.
Ihr Name lautete Komtur und
sie stand ein wenig versteckt, direkt an einem Gebüsch.
Etwas zurückgezogen wirkte sie fast
ein bisschen alleine an diesem Ort. Ich war mir sehr sicher, dass sie schon so
manchem Besucher einen Schrecken in seine Glieder hatte fahren lassen. Immerhin
war Komtur eine ziemlich unheimliche Skulptur. Nein, eigentlich war es
gar keine richtige Skulptur. Fand ich zumindest. Schließlich war sie von innen
hohl und bestand lediglich aus einem Umhang. Unter diesem Umhang steckte keine
Figur. Nicht einmal ein Gesicht war zu sehen, was dieses Kunstwerk zu einem
unheimlich wirkenden Objekt machte.
Allerdings wurde ich von Smilla
eines Besseren belehrt. Komtur war ihrer Meinung nach sehr wohl eine
Skulptur. Nur, weil der Umhang nicht gefüllt war, würde es nichts an der
Betitelung Skulptur ändern. Da ich es nicht besser wusste und Smilla sich mit
solchen Dingen schon immer ausgekannt hatte, widersprach ich lieber nicht.
Ich stellte nicht mal die Fragen,
die mir seit eben unter den Nägeln brannten. Diese Fragen, die mir gerade immer
und immer wieder durch den Kopf rauschten.
Woher wusste Smilla, dass es eine
Skulptur war? Weshalb konnte sie sich ihrer Sache sicher sein? Warum hatte sie
dieses Wissen?
An andere Dinge konnte sich Smilla
ja schließlich auch nicht erinnern. Dann sah ich Smilla erstaunt an, als sie
weitersprach.
„Lass uns noch kurz rüber zum Westeingang
gehen. Da steht auch noch eine sehr interessante Skulptur.“
„Wie kommst du darauf?“ Unsicher
stellte ich diese Frage. Ich überlegte, ob irgendwo ein Hinweisschild zu sehen
gewesen war, das auf eine weitere Skulptur hinwies. Dass Smilla dieses Wissen
daher hatte oder ob sie die Skulptur gesehen hatte, als wir ein paar Meter von
ihr entfernt aus der Kirche gekommen waren. In unserem kleinen Heftchen
brauchte ich nicht nachzusehen. Ich wusste, dass dort nichts von einer anderen
Figur stand. Es gab kein Schild und auch keinen Tipp in meiner erstellten
Broschüre, was dafür sorgte, dass ein Gemisch aus Freude und Nervosität in mir
aufstieg. Vielleicht war es tatsächlich endlich ein positives Zeichen.
Vielleicht ein kleiner Schritt auf dem Weg zum Erinnern.
Als wir bei der Skulptur angelangt
waren, standen wir staunend davor. Während Smilla über die Skulptur selbst
staunte, galt mein Staunen etwas anderem. Smilla hatte recht damit gehabt, dass
es hier ein Kunstobjekt gab. Nein, sie hatte sich erinnert!
Da entweder kein Name am Sockel
angebracht war oder wir zu blind waren, ihn zu entdecken, gingen wir langsam
und Hand in Hand weiter.
Der Name der Skulptur fiel Smilla
nicht ein. Da ich ebenfalls keine Ahnung hatte, versuchten wir ihn im Internet
zu recherchieren.
„Hast du auch keine Verbindung?“
Smilla sah mich an.
„Nein.“ Nur ganz langsam baute sich
eine Internetverbindung auf.
„Dann schauen wir nachher nach. Aber
du musst mich daran erinnern.“ Smilla lächelte mich an.
Wir hatten das Kirchengelände schon
verlassen und waren fast bei unseren Rädern angekommen, als Smilla abrupt
stehen blieb. Ich konnte ihren Blick nicht definieren. Fast etwas entgeistert
sah sie mich an und sagte lediglich ein einziges Wort.
„Totengedenken.“
„Was meinst du?“ Irritiert, was
Smilla mir mit ihrem Wort sagen wollte, sah ich sie erschrocken an. Auf was für
merkwürdige Gedanken war sie gekommen? Hätte ich nicht mit ihr auf diesen
Friedhof gehen dürfen? Oder lag es an den Skulpturen? Vor allem Komtur wirkte ziemlich
unheimlich. Hatte diese Skulptur meiner Smilla etwa Angst eingejagt?
„So ist ihr Name.“
„Das habe ich nicht gewusst. Cool,
dann haben wir das ja auch geklärt.“
Ich hatte nicht begriffen, dass ich
vor wenigen Minuten dabei sein durfte, als für Smilla etwas Großes passiert
war. Etwas, was für mich und für fast alle anderen Menschen ganz normal war.
Tatsächlich kapierte ich es erst, während ich das Schloss öffnete, mit dem wir
unsere Fahrräder aneinander geschlossen hatten. Ja, ich verstand es erst, als
Smilla dieses Wort ein weiteres Mal wiederholte.
„Totengedenken.“
„Ich weiß. Du hast es mir eben schon
gesagt. Ich glaube, ich habe es jetzt …“ Weiter sprach ich nicht. Schlagartig
wurde mir klar, was auch Smilla bewusst geworden war.
Smilla hatte sich, ohne dass es ihr
jemand eingeredet oder erzählt hatte, an etwas aus der Vergangenheit erinnert.
Von ganz alleine war sie auf den Namen einer Skulptur gekommen. Wir sahen uns
an, und während wir gleichzeitig das Wort Totengedenken wiederholten, liefen
uns Tränen über die Wangen.
Voller Stolz nahm ich Smilla in
meine Arme und hielt sie einfach nur fest. Es gab so viele Dinge, die ich in diesem
Moment hätte sagen können, und doch war ich nicht in der Lage, auch nur einen
einzigen Satz auszusprechen. Einen Satz? Nein, ich schaffte es nicht, auch nur
ein Wort über meine Lippen zu bringen.
Dafür schaffte ich es, Smilla immer
dichter an mich heranzudrücken. Noch näher wäre nicht möglich gewesen. Nicht
nur unsere Körper waren sich in diesem Moment sehr nahe. Auch unsere Herzen
waren es. Selbst wenn es keiner von uns beiden aussprach, war ich mir sicher,
dass auch Smilla so fühlte.
Sicherlich konnte Smilla meinen
kräftigen Herzschlag durch unsere Kleidung hindurch fühlen. Mein Herz klopfte
vor Freude so sehr, dass sie es einfach spüren musste.
Für immer dieser Moment. Diese Worte hatte ich in meinem
Kopf, und ich überlegte, ob ich sie aussprechen sollte.
Liebe Grüße
Ben
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen