Ich schon!
Jake hat sie übrigens auch kennengelernt.
Wenn ihr neugierig seid, wo ihr diesen Baum finden könnt ...Dann passt mal gut auf ;-)
„Jake, kommst du jetzt endlich!“ Mein Herrchen rief nach mir. Um genauer
zu sein, rief er bereits etwas genervt, da ich alle vorherigen Rufe ignoriert
hatte. Nein, es lag nicht daran, dass ich mich im Rüpelalter befand und die
Hierarchie zwischen Ben und mir neu abstecken wollte. Mein nicht gehorsames
Verhalten war einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass ich heute Abend
nicht traurig und wütend auf dem Sofa liegen wollte. Sollte die süße Hündin
wirklich hier im Wald gewesen sein, so musste ich jetzt ihre Spur aufnehmen.
Dann hatte ich die Pflicht, sie zu finden. Ich hatte sie ihr gegenüber, da sie
wirklich sehr zuvorkommend mit mir umgegangen war. Vor allem aber hatte ich die
Pflicht auch mir gegenüber. Ich wusste ganz genau, dass ich es mir nicht hätte
verzeihen können, nicht alles gegeben zu haben. Den Wald zu verlassen und nicht
an allen Stellen gesucht haben, wäre keine gute Entscheidung gewesen. Nein, es
wäre sogar extrem dämlich von mir gewesen.
„Ich komme doch gleich. Fünf Minuten, okay?“ Missmutig grummelte ich
eine Antwort vor mich hin und glaubte selbst nicht daran, dass sie bis zu Ben
gedrungen war. Immerhin hatte er, ganz im Gegensatz zu mir, keine Lauschlappen,
die auch die kleinsten Geräusche aufnehmen konnten.
Allerdings machte ich mir darüber schnell keinen Kopf mehr, da sich
dieser bereits wieder in einer geduckten Haltung befand. Noch dichter am
Waldboden war lediglich noch meine schwarze Nase, die wild schnüffelnd hoch und
runter vibrierte.
Vorhin hatte ich sie doch auch gerochen. Es war ihr Duft, ich habe mich
doch nicht getäuscht. Wut stieg in mir auf. Ich war
wütend darüber, dass ich die Suche vorhin abgebrochen hatte. War der raue
Nordseewind dafür verantwortlich, dass ich die Fährte nicht wieder aufnehmen
konnte? Lag es an der salzigen Sylter Luft, dass der Duft meiner kleinen Lady
verschwunden war? Oder war tatsächlich dieser ätzende Sommerregen, der meiner
Meinung nach lediglich ein beschissener Dauerregen war, daran schuld, dass alle
Spuren vernichtet waren?
Oder gab es vielleicht etwa gar keine Fährten? Hatte ich mich vorhin
lediglich getäuscht? Waren es meine geheimen Wünsche, die ein böses Spiel mit
mir gespielt hatten?
„Jake, pass mal auf, du Nasenbär. Wenn du nicht sofort bei mir antanzt,
gehst du heute barfuß zu Bett.“ Obwohl Bens Ton schroff war, ließ er sich eine
große Prise Humor nicht nehmen.
„Barfuß muss ich doch immer ins Bett.“ Ich grinste, dann sprach ich
weiter. „Aber ich komme ja schon.“ Nachdem ich tief ausgeatmet hatte und ein
großer Enttäuschungsseufzer meine Lippen verlassen hatte, lief ich los. Ich
wollte zu Ben und ihm zeigen, dass ich durchaus in der Lage war, seinen
Befehlen zu folgen.
„Endlich. Komm mal her, du Räuberhauptmann. Ich finde ja, dass du gerne
wieder besser hören könntest. Heute ist es echt bescheiden.“ Obwohl ich auf
eine charmante Art einen kleinen Einlauf bekam, wurde ich zwischen meinen
Schlappohren gekrault.
„Noch besser hören? Ich habe doch alles gehört, nur nicht sofort
gehorcht.“ Ich grinste, dann sprach ich weiter und sah mein Herrchen dabei
verliebt an. „Es ist versprochen. Das kommt nicht wieder vor. Es lag nur daran,
dass ich meine kleine Hündin gesucht habe. Ich dachte, dass ich ihren Duft
wahrgenommen hatte. Leider habe ich mich aber getäuscht.“ Während ich sprach,
rieb ich meinen kleinen nassen Hundekopf an Bens Beinen und fühlte mich wohl.
Auch wenn ich noch immer traurig war, fühlte sich die Welt so gleich wieder
besser an.
Immerhin kann ich mir heute Abend nichts vorwerfen. Auch wenn es mir im Bezug auf die süße Lady nicht wirklich weiterhalf,
war ich froh darüber, alles ausprobiert zu haben.
Alles? Nein, nicht alles! Ich Vollhonk. Bereits
während meiner Gedanken hatte ich mich in Bewegung gesetzt. Mein Ziel war ein
Baum. Nein, nicht einfach nur ein Baum, sondern die Liebesbuche, die sich hier
im Südwäldchen befand.
Dieser alte, fast ehrwürdige Baum war ein Muss für alle Hunde, die ihren
Urlaub auf Sylt verbrachten. Natürlich aber auch ein Begegnungspunkt für alle
Fellnasen, die hier auf der Insel lebten. Milo hatte mir von dieser Buche
erzählt, und ich wunderte mich darüber, dass ich den Baum erst jetzt auf dem
Zettel hatte.
„Jake, bleib. Stopp, du Nase. Ach Manno, was ist denn heute nur los?“
Auch wenn Bens letzte Worte fast etwas resigniert klangen, konnte ich nicht
stoppen. Ich wusste, dass ich heute Abend etwas gutzumachen hatte. Musste jetzt
allerdings mein Ding durchziehen. Ich würde ja schließlich nicht weglaufen,
sondern lediglich den Ort hier im Südwäldchen wechseln. Außerdem würde mich
mein Herrchen an diesem Platz finden. Schon häufig hatten wir uns an dieser
Stelle wiedergetroffen, wenn ich vorher eine kleine Tour durch den Wald gemacht
hatte. Dass ich auf diesen Touren manchmal Kaninchen gejagt hatte, war
allerdings mein Geheimnis geblieben.
„Bin gleich zurück.“ Mir war klar, dass Ben meine Antwort nicht hören
konnte. Trotzdem blieb ich nicht stehen und vertraute darauf, dass mein
Herrchen wusste, dass irgendetwas Besonderes in der Luft lag. Er kannte mich,
kannte mein sonstiges Verhalten und wusste somit ganz genau, dass ich niemals
aus dem Südwäldchen abhauen würde.
Da bist du ja. Bitte lieber Baum, hilf mir. Immerhin bist du doch der
Liebesbaum. Nein, die Liebesbuche, die schon so viele Hundeherzen
zusammengeführt hat. Fast andächtig stand ich vor
dem mächtigen Stamm. Gleich würde ich alle Neuigkeiten erfahren. Dieser Baum
war besser als jede Zeitung. Er war interessanter als sämtliche
Nachrichtensendungen und unterhaltsamer als das Radio.
„Bitte, lass mich ihre Spur finden. Lieber Baum, hilf mir dabei, die
süße Hündin zu finden. Ich möchte sie so gerne nochmals treffen. In ihre Augen
sehen dürfen und mit meiner kleinen Hundeschnauze in ihrem Wuschelfell wühlen.“
Noch immer war ich regungslos. Nein, noch immer stand ich stocksteif im Wald
und sah diesen mächtigen Baum an. Diesen Liebesbaum, in den ich alle meine
Hoffnungen setzte. Wenn er mir nicht helfen konnte, war Hilfe nicht möglich.
„Bitte, lieber Baum.“ Nach diesen drei Worten setzte ich mich in
Bewegung. Mit gesenktem Kopf und einer eifrig schnüffelnden Nase überbrückte
ich den letzten Abstand zum Stamm.
Nachdem ich ihn zur Hälfte umrundet hatte, hielt ich an. Ich musste mich
vorhin getäuscht haben.
Obwohl ich hier unendlich viele unterschiedliche Hundegerüche wahrnehmen
konnte, war ihrer nicht dabei. Nein, meine süße Hündin vom Strand hatte die
Liebesbuche nicht besucht.
Enttäuscht hob ich meine Nase und schloss die Augen.
Was soll das? Wer verarscht mich hier? Das kann doch nicht daran liegen,
dass meine Augen geschlossen sind. Meine Nase bewegte sich
hektisch, als der liebliche Duft meiner Lady in sie hinein strömte.
Schnell öffnete ich meine Augen wieder. Ich musste herausfinden, ob ich
ihre Spur auch so wahrnehmen konnte.
Oder hatten mir meine Gedanken und Wünsche erneut einen Streich
gespielt?
Nun ja ... Ob Jake die Gedanken und Wünsche einen Streich gespielt haben, könnt ihr hier erfahren: