Montag, 2. März 2020

Kennt ihr Egon?

Nein?

Ich kannte ihn auch nicht.

Aber ich habe sein Grab besucht, da mich ein Inselführer darauf aufmerksam gemacht hat.
Ganz ehrlich, ich mochte den Bericht über diesen Menschen und konnte nicht widerstehen, seinen letzten Aufenthaltsort aufzusuchen.

Und genau davon möchte ich euch kurz berichten.
Natürlich auf meine Art, da ich es in eine kleine Geschichte verpackt habe.


Als wir die Haltestelle Mövenbergstraße erreicht hatten, stiegen wir aus. Am liebsten hätte ich auf dem Weg zu unserem Ziel Smillas Hand genommen. Doch ich traute mich nicht und so gingen wir einfach nebeneinander. Eine ganze Zeit lang liefen wir auf dem verwinkelten Dünenfriedhof in List hin und her. Viele kleine Wege führten uns zu Gräbern, die in eine wunderschöne Dünenlandschaft eingebettet waren. Häufig blieben wir stehen und sahen uns die Zahlen an, die auf den Grabsteinen verewigt waren. Mal staunend und mal verwirrt lasen wir die Inschriften, und erst als ich den Grabstein von Briefträger Egon von Weitem sah, fiel mir wieder ein, weshalb wir überhaupt hier waren. Tatsächlich hatte ich zwischenzeitlich den eigentlichen Grund vergessen. Gemeinsam mit Smilla war ich in eine andere, in unsere eigene Welt eingetaucht. Ich genoss es, diesen besonderen Menschen an meiner Seite zu haben, und fühlte mich fast in unsere gemeinsame Vergangenheit zurückversetzt. Was Smilla dachte, konnte ich nicht erahnen. Allerdings wirkte sie ruhig und ausgeglichen, sodass ich mir um sie keine Gedanken zu machen brauchte.

Vor Egons Grab blieben wir stehen und lasen die Aufschrift. Das, was ich bereits vor zwei Stunden alleine gelesen hatte, las Smilla in diesem Moment laut vor.

„Hier ruht Egon.“ Mehr sagte sie nicht. Dann sah sie mich an und meinte:

„So finde ich es cool. Ich glaube, diese Worte würden mir auf meinem Grabstein auch gefallen.“

„Du möchtest ‚Hier ruht Egon‘ auf deinem Grabstein stehen haben?“ Mein Grinsen quittierte Smilla mit einem liebevollen Ellenbogenstupser.

„Schau mal. Vor dem Grabstein liegt ein Umschlag. Wer den wohl dorthin gelegt hat?“ Smilla hatte den Briefumschlag entdeckt, und ich freute mich, dass sie von ganz alleine etwas dazu gesagt hatte.

„Das passt doch. Immerhin war Egon ein Briefträger. Wollen wir nachsehen, was sich im Umschlag befindet?“

„Jonas! Meinst du, wir dürfen das einfach machen?“

„Na klar. Wir befinden uns doch auf einem öffentlichen Platz. Außerdem werden wir nicht beobachtet.“ Um meinen Worten Nachdruck zu vermitteln, drehte ich mich um die eigene Achse und tat so, als würde ich die Gegend nach anderen Menschen absuchen.

„Und das Postgeheimnis?“ Smilla grinste, und ich freute mich wie Bolle darüber, dass sie in meiner Gegenwart langsam, aber sicher etwas lockerer wurde.

„Also, ich würde dich nicht verpetzen. Wenn du mich auch nicht verpetzt, wird es niemand erfahren.“

„Okay, dann los.“




Während Smilla zum Grabstein ging und den Briefumschlag zunächst vom Stein befreite und dann in die Hand nahm, stand ich Schmiere. Wie im Film drehte ich mich immer wieder in alle Richtungen und tat so, als würden wir eine Bank überfallen. Ich war der Wachposten, der dafür verantwortlich war, dass den Raubzug keiner mitbekam.

Lächelnd stand Smilla neben mir. Während sie den Umschlag öffnete und den Inhalt herausnahm, konnte ich ihre Aufregung fast spüren. Zunächst strahlte uns ein Bild an. Es war ein selbst gemachtes Foto, das ich bei unserem ersten gemeinsamen Surf-Cup hier auf der Insel gemacht hatte. Ein von mir in den Sand gemaltes Herz war zu erkennen, das sich direkt vor dem flachen Wasser der Ebbe und dem Sonnenuntergang im Hintergrund präsentierte.

„Wow. Wie schön das Foto ist. Lass uns mal nachsehen, ob auf der Rückseite etwas steht.“

„Ja, mach.“ Ich freute mich über Smillas Reaktion, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass dieses Foto Erinnerungen in ihr geweckt hätte.

Langsam und mit bewegter Stimme las Smilla mir den Text, der auf der Rückseite stand, vor.

„‚Versuche, aus der Vergangenheit zu lernen. Plane ein wenig für die Zukunft. Aber lebe und genieße das JETZT!‘ Da hat sich aber jemand wirklich Mühe gegeben. Wahrscheinlich ist derjenige sehr verliebt, aber trotzdem klingt es total geheimnisvoll. Ob wir das Rätsel dieser Karte lösen können?“

„Wir können es ja gemeinsam versuchen.“ Mehr brachte ich nicht heraus, da ich mit meinen Tränen zu kämpfen hatte.

So, jetzt kennt ihr Egon auch und ich hoffe, dass euch meine kleine Geschichte gefallen hat.

Liebe Grüße
Ben

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