Nein?
Ich kannte ihn auch nicht.
Aber ich habe sein Grab besucht, da mich ein Inselführer darauf aufmerksam gemacht hat.Ganz ehrlich, ich mochte den Bericht über diesen Menschen und konnte nicht widerstehen, seinen letzten Aufenthaltsort aufzusuchen.
Und genau davon möchte ich euch kurz berichten.
Natürlich auf meine Art, da ich es in eine kleine Geschichte verpackt habe.
Als wir die Haltestelle
Mövenbergstraße erreicht hatten, stiegen wir aus. Am liebsten hätte ich auf dem
Weg zu unserem Ziel Smillas Hand genommen. Doch ich traute mich nicht und so
gingen wir einfach nebeneinander. Eine ganze Zeit lang liefen wir auf dem
verwinkelten Dünenfriedhof in List hin und her. Viele kleine Wege führten uns zu Gräbern,
die in eine wunderschöne Dünenlandschaft eingebettet waren. Häufig blieben wir
stehen und sahen uns die Zahlen an, die auf den Grabsteinen verewigt waren. Mal
staunend und mal verwirrt lasen wir die Inschriften, und erst als ich den
Grabstein von Briefträger Egon von Weitem sah, fiel mir wieder ein, weshalb wir
überhaupt hier waren. Tatsächlich hatte ich zwischenzeitlich den eigentlichen
Grund vergessen. Gemeinsam mit Smilla war ich in eine andere, in unsere eigene
Welt eingetaucht. Ich genoss es, diesen besonderen Menschen an meiner Seite zu
haben, und fühlte mich fast in unsere gemeinsame Vergangenheit zurückversetzt.
Was Smilla dachte, konnte ich nicht erahnen. Allerdings wirkte sie ruhig und
ausgeglichen, sodass ich mir um sie keine Gedanken zu machen brauchte.
Vor Egons Grab blieben wir stehen
und lasen die Aufschrift. Das, was ich bereits vor zwei Stunden alleine gelesen
hatte, las Smilla in diesem Moment laut vor.
„Hier ruht Egon.“ Mehr sagte sie
nicht. Dann sah sie mich an und meinte:
„So finde ich es cool. Ich glaube,
diese Worte würden mir auf meinem Grabstein auch gefallen.“
„Du möchtest ‚Hier ruht Egon‘ auf
deinem Grabstein stehen haben?“ Mein Grinsen quittierte Smilla mit einem
liebevollen Ellenbogenstupser.
„Schau mal. Vor dem Grabstein liegt
ein Umschlag. Wer den wohl dorthin gelegt hat?“ Smilla hatte den Briefumschlag
entdeckt, und ich freute mich, dass sie von ganz alleine etwas dazu gesagt
hatte.
„Das passt doch. Immerhin war Egon
ein Briefträger. Wollen wir nachsehen, was sich im Umschlag befindet?“
„Jonas! Meinst du, wir dürfen das
einfach machen?“
„Na klar. Wir befinden uns doch auf
einem öffentlichen Platz. Außerdem werden wir nicht beobachtet.“ Um meinen Worten
Nachdruck zu vermitteln, drehte ich mich um die eigene Achse und tat so, als
würde ich die Gegend nach anderen Menschen absuchen.
„Und das Postgeheimnis?“ Smilla
grinste, und ich freute mich wie Bolle darüber, dass sie in meiner Gegenwart
langsam, aber sicher etwas lockerer wurde.
„Also, ich würde dich nicht
verpetzen. Wenn du mich auch nicht verpetzt, wird es niemand erfahren.“
„Okay, dann los.“
Während Smilla zum Grabstein ging
und den Briefumschlag zunächst vom Stein befreite und dann in die Hand nahm,
stand ich Schmiere. Wie im Film drehte ich mich immer wieder in alle Richtungen
und tat so, als würden wir eine Bank überfallen. Ich war der Wachposten, der
dafür verantwortlich war, dass den Raubzug keiner mitbekam.
Lächelnd stand Smilla neben mir. Während
sie den Umschlag öffnete und den Inhalt herausnahm, konnte ich ihre Aufregung
fast spüren. Zunächst strahlte uns ein Bild an. Es war ein selbst gemachtes
Foto, das ich bei unserem ersten gemeinsamen Surf-Cup hier auf der Insel
gemacht hatte. Ein von mir in den Sand gemaltes Herz war zu erkennen, das sich
direkt vor dem flachen Wasser der Ebbe und dem Sonnenuntergang im Hintergrund
präsentierte.
„Wow. Wie schön das Foto ist. Lass
uns mal nachsehen, ob auf der Rückseite etwas steht.“
„Ja, mach.“ Ich freute mich über
Smillas Reaktion, auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass dieses Foto
Erinnerungen in ihr geweckt hätte.
Langsam und mit bewegter Stimme las
Smilla mir den Text, der auf der Rückseite stand, vor.
„‚Versuche, aus der Vergangenheit zu
lernen. Plane ein wenig für die Zukunft. Aber lebe und genieße das JETZT!‘ Da
hat sich aber jemand wirklich Mühe gegeben. Wahrscheinlich ist derjenige sehr
verliebt, aber trotzdem klingt es total geheimnisvoll. Ob wir das Rätsel dieser
Karte lösen können?“
„Wir können es ja gemeinsam
versuchen.“ Mehr brachte ich nicht heraus, da ich mit meinen Tränen zu kämpfen
hatte.
So, jetzt kennt ihr Egon auch und ich hoffe, dass euch meine kleine Geschichte gefallen hat.
Liebe Grüße
Ben
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