Donnerstag, 19. März 2020

Der Hörnumer Leuchtturm

Seine Vergangenheit
… kennt ihr sie?

Der Turm ist nicht immer "nur" ein Leuchtturm gewesen.
Nein, er hatte auch andere "Aufgaben" und ich bin froh darüber, einiges über den stattlichen und oft fotografierten Turm erfahren zu haben.

Natürlich habe ich mein "Wissen" in eine kleine Geschichte gepackt und möchte sie auch nicht vorenthalten!


Für heute hatten wir den Leuchtturm in Hörnum auf dem Programm. Es war nicht nur ein besonderer Ort für uns, da wir damals dort hatten heiraten wollen, sondern zugleich war er auch der letzte Punkt aus der Broschüre. Aus unserem Inselführer, der tatsächlich das geschafft hatte, was ich mir so sehnlichst von ihm gewünscht hatte.

Mit dem Bus waren wir vorhin am Bahnhof Westerland gestartet und ich ärgerte mich gerade ein wenig über mich selbst. In der Hektik schien ich gestern vergessen zu haben, das Etui einzustecken. War ich nicht extra noch zurückgegangen, um es zu holen? Klar war ich, und eigentlich war ich auch der Meinung, dass ich es in meinen Rucksack gepackt hatte. Doch ich konnte es nicht wiederfinden. So gerne wollte ich Smilla die Bilder unseres Lebens zeigen, wenn wir im Leuchtturm waren. Noch immer etwas enttäuscht, stieg ich aus dem Bus und nahm Smilla an die Hand.


„Sag mal, Jonas, ist alles gut bei dir?“

„Ja. Warum fragst du?“

„Du bist so ruhig.“ Da hatte Smilla recht. Weil es jetzt sowieso nicht mehr zu ändern war, versuchte ich, meine Gedanken an das vergessene Etui zu verdrängen.

„Auf geht es. Wollen wir vor dem Trauzimmer noch das alte Klassenzimmer im Leuchtturm ansehen?“

„Ja klar. Dort habe ich doch …“ Smilla stoppte ihren Satz, und obwohl ich sie fragend ansah, sprach sie auch nicht weiter. Stattdessen biss sie sich auf die Unterlippe, und es schien so, als würde sie sich darüber ärgern, sich verplappert zu haben.

Ich ging nicht näher darauf ein und gab meiner kleinen Tussi einfach einen Kuss.

„Dann los.“ Smilla hakte mich ein und wir machten uns auf den Weg zum Eingang.



Warum auch immer heute keine der Führungen stattfand, und wir stattdessen alleine auf das Gelände des Leuchtturms gehen und das Klassenzimmer besichtigen durften, wusste ich nicht. Allerdings war es mir auch egal. Egal? Nein, sehr viel lieber war es mir sogar. Hier im Museum war es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Erneut ärgerte ich mich darüber, dass ich mein Etui zu Hause habe liegen lassen. Es hätte perfekt in diesen Raum hineingepasst. Genau hier wäre der Ort gewesen, Smilla mit Bildern aus unserer gemeinsamen Vergangenheit zu überraschen.

Als wir einen kurzen Augenblick später das Klassenzimmer betraten, hatte ich ein komisches Gefühl in mir. Irgendwas war anders, seitdem wir in Westerland in den Bus gestiegen waren. Zumindest fühlte es sich für mich anders an. Ich hatte es bis eben nicht richtig wahrgenommen, weil ich mit meinen Gedanken an das vergessene Etui beschäftigt gewesen war, aber jetzt fiel es mir auf.

Was war mit Smilla? Warum verhielt sie sich plötzlich so ruhig? Sie schien anders zu sein. Fast etwas angespannt wirkte sie und ich konnte nur schwer mit dieser Situation umgehen.

„Was ist los, Smilla?“

„Dieses Klassenzimmer ist wie du.“ Was auch immer meine kleine Tussi mit ihrem Satz auch sagen wollte, ich begriff es nicht.

„Was bedeutet das? Wie ich?“

„Ja.“ Smilla ließ meine Hand los und ging in Richtung des alten Lehrerpults, das sich, wie in anderen Klassenzimmern auch, vor den Tischen der Schüler befand. Von dort aus sah sie mich an.

Ihr Blick war auf mich gerichtet. Es war ein Blick, mit dem ich nichts anfangen konnte. Warum um alles in der Welt konnte ich nur keine Gedanken lesen? Was ging in Smilla vor? Was erwartete mich? Ich konnte die Situation nicht einschätzen. Noch viel weniger, als Smilla begann, in ihrer Tasche herumzufummeln. Sie schwieg dabei und es kamen erst wieder Worte über ihre Lippen, als ich mich daranmachte, auf sie zuzugehen.

„Bleib bitte, wo du bist.“ Verwundert sah ich meine kleine Tussi an.

„Warum?“

„Weil ich es mir wünsche. Bitte, Jonas.“ Ich blieb stehen und sah noch immer verwirrt in ihre Richtung.

„Jetzt gehst du bitte in die zweite Sitzreihe und setzt dich an diesen Tisch.“ Smilla deutete auf einen der Tische, an dem früher die Kinder während der Unterrichtszeit gesessen hatten.

„Aber …“

„Bitte, Jonas!“ Der relativ schroffe Ton passte überhaupt nicht zu ihrem liebevollen Blick. Ich erfüllte Smillas Wunsch und ging zum Tisch. Als ich vor dem Stuhl stand und meine Hände auf der Stuhllehne abstützte, genügte ein Blick von Smilla.

Ich zog den Stuhl nach hinten und setzte mich.



Obwohl die Situation schon recht merkwürdig war, spielte ich das Spiel, falls es denn überhaupt ein Spiel war, mit. Ob es meine Neugier war, die gesiegt hatte, wusste ich nicht, und doch wartete ich mit Spannung darauf, was mich jetzt erwartete. Dass ich etwas zu erwarten hatte, war mir klar. Immerhin verhielt sich Smilla so, und außerdem hielt sie nun einen Zettel in der Hand. Mit diesem Zettel bewegte sie sich langsam auf mich zu. Neugierig, was darauf stand, sah ich meine kleine Tussi an. Allerdings nur die ersten Schritte. Dann musste ich hinter ihr her sehen, da sie an mir vorbeiging und erst an der Eingangstür des Klassenzimmers stehen blieb. Nachdem sie die Tür geöffnet hatte, drehte sie sich zu mir um und lächelte mich schelmisch an. Wie ein Kind auf dem Schulhof sah sie in diesem Moment aus. Wie ein kleines Mädchen, das ihren Lehrern einen Streich spielen wollte. Mit schnellen Bewegungen holte sie einen Tesafilm-Abroller aus der Hosentasche, riss ein Stück davon ab und befestigte den Zettel von außen an der Tür. Ruckzuck war die Tür wieder verschlossen und Smilla hatte sich von innen gegen die Tür gelehnt. Ein noch breiteres Grinsen zeigte sich nun auf ihrem Gesicht.

Eine kurze Weile blieb sie regungslos in dieser Position stehen. Smilla verharrte förmlich und ging erst, nachdem sie kräftig durchgeatmet hatte, wieder zu ihrem Pult.

Meine Augen fixierten jeden ihrer Schritte. Nein, jede ihrer Bewegungen. Fast so, als hätte ich Angst, etwas zu verpassen.

„Jetzt stört uns hoffentlich niemand.“

„Wobei?“ Ich verstand nicht, was Smilla gemeint hatte.

„In unserer Vergangenheit.“

„In unserer Vergangenheit?“ Ich wiederholte es, ohne auch nur im Ansatz zu verstehen, was sie meinte.

„Ja.“ Mehr als diese beiden Buchstaben bekam ich nicht zur Antwort. Stattdessen war Smilla erneut dabei, in ihrer Tasche nach etwas zu suchen.




Meine kleine Tussi schien gefunden zu haben, wonach sie gesucht hatte. Schnell zog sie etwas Blaues aus der Tasche und versteckte es mit ihrer linken Hand hinter dem Rücken. Mit einem breiten Grinsen kam sie auf mich zu und blieb erst stehen, als sie in der Reihe vor mir, direkt vor meinem Tisch, stand.

„Eigentlich wollte ich dir vom Pult aus so viel erzählen. Vielleicht ist erklären das bessere Wort. Aber ich kann es jetzt nicht. Ich bin viel zu aufgeregt.

„Was ist los, Smilla?“ Ich machte mir Gedanken.

„Was soll los sein?“ Verwundert wurde ich angesehen.

„Du bist so anders.“

„Anders?“

„Ja. Du hast dich verändert.“ Ruhig und nachdenklich wirkte Smilla, obwohl sie ein Lächeln auf den Lippen trug.

„Nein.“

„Du findest, dass du dich nicht verändert hast?“ Bemerkte sie ihr Verhalten etwa nicht?

„Ich habe mich nicht verändert. Du, Jonas, bist es gewesen. Du hast mich verändert.“

„Ich?“ Worauf wollte sie hinaus?

„Ja, du, Jonas. Oder soll ich lieber Lieblingszicke zu dir sagen?“ Aus ihrem Lächeln wurde ein bezauberndes Lachen.

„Wenn du magst – gerne.“

„Dann musst du mich aber auch wieder anders nennen.“ Erstaunt sah ich Smilla an. Was hatte sie eben gesagt? Auch ich sollte sie anders nennen? Meinte sie etwa kleine Tussi? Nein, das konnte sie nicht gemeint haben. Neugierig fragte ich nach.

„Wie soll ich dich nennen?“

„Weißt du es nicht mehr? Hast du vergessen, wie du mich früher immer genannt hast? Damals, gleich an unserem ersten Tag.“

Niemals hätte ich es vergessen. Doch woher wusste Smilla es plötzlich? Oder meinte sie unser Treffen jetzt bei Blum? Diesen Tag, der für mich ein Wiedersehen war. Der aber gleichzeitig für Smilla unser erstes Treffen war.

„Gleich an unserem ersten Tag? Meinst du bei Blum?“, hakte ich nach. Ich musste es unbedingt wissen.

„Nein. Unser allererstes Treffen. Ich meine den Tag, an dem du zum Mützenmann wurdest und ich …“

„Und du zur kleinen Tussi.“ Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden. Als ich glaubte, dass Smilla mir ein Taschentuch reichen wollte, erkannte ich die Mütze nicht sofort. Erst als ich darum gebeten wurde, sie aufzusetzen, kapierte ich, was meine kleine Tussi aus der Tasche genommen und hinter ihrem Rücken versteckt hatte.

„Bitte, setze sie auf. Mach es für mich.“ Smilla flüsterte. Ich sah mir die Mütze an, während mir noch immer Tränen über die Wangen liefen. Dann setzte ich sie auf.

„So?“

„Ja. Jetzt bist du auch wieder optisch mein Mützenmann.“



Eine ganze Zeit sahen wir uns an, einfach nur an, und strahlten dabei. Die Augen meiner kleinen Tussi leuchteten genau wie früher. Wie damals, als wir uns zum ersten Mal hier auf Sylt begegnet waren.

Langsam stand ich auf. Erst jetzt begriff ich so richtig, was eben passiert war. Ich hatte die Frau, die ich liebte, endgültig zurück. Zurück mit allen unseren gemeinsamen Erlebnissen, und es fühlte sich genauso schön wie damals an. Nein, es fühlte sich noch sehr viel schöner an.

„Smilla, ich liebe dich.“

„Ich dich auch, Jonas!“ Über den Tisch hinweg küssten wir uns. Erst zärtlich, dann leidenschaftlich. Plötzlich unterbrach Smilla unseren Kuss.

„Ich glaube, wir müssen das Klassenzimmer mal wieder für die Öffentlichkeit freigeben.“ Ohne zu wissen, was sie meinte, folgte ich ihr zur Tür. Kurz bevor Smilla die Tür öffnete und den Zettel mit der Aufschrift Bitte nicht stören von der Tür nahm, hielt ich sie davon ab. Es ging nicht anders, ich musste die Frau, die ich so sehr liebte, erneut küssen.

Erst Minuten später standen wir auf dem Flur.




Smilla war es, die hier das Wort ergriff.

„Weißt du, dass unsere Liebe unterschiedlich ist?“

„Was meinst du?“ Ich sah Smilla fragend an. Ich hatte nicht begriffen, was meine kleine Tussi damit meinte.

„Ich habe mich zum zweiten Mal in dich verliebt. Du hingegen liebst mich noch immer, obwohl ich aus deinem Leben verschwunden war.“

„Du warst nie aus meinem Leben verschwunden!“ Selbstverständlich wusste ich, was Smilla gemeint hatte. Aber jetzt war es erneut an der Zeit, uns zu küssen. Reden konnten wir auch später noch.

Nachdem sich unsere Lippen voneinander gelöst hatten, sahen wir uns verliebt an. Eine Frage brannte mir auf der Zunge. Es war eine Frage, die ich dringend beantwortet haben musste.

Mögt ihr auch den Hörnumer Leuchtturm?
Vielleicht jetzt?

Liebe Grüße
Ben

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