Montag, 10. Februar 2020

Klaar Kiming

Ich mag diese Worte!

Und in meinem Garten hängt eine Fahne, auf der diese Worte stehen.

Häufig habe ich Gedanken daran im Kopf und wenn ich am Strand, oder auf der Westerländer Promenade spazieren gehe, denke ich über ihre Bedeutung nach. Natürlich kann jeder den Schriftzug der Fahne interpretieren. Immerhin sind wir doch auch unterschiedlich "Kreaturen".

Apropos unterschiedliche Kreaturen, Jake hat euch was mitgebracht.


Als wir heute Morgen an der Promenade liefen, fiel mein Blick auf die leeren Fahnenmaste. Trist war es ohne die bunten Banner, die uns sonst am Wegesrand begleiteten und jetzt im tiefen Winter nicht gehisst wurden.

Heute liegt aber wirklich Schnee in der Luft.“ Ben hatte diese Worte zuletzt häufiger gesagt, doch bisher war noch nie etwas passiert.

Ich hatte allerdings auch keinen Schimmer, was hätte passieren sollen. Ich kannte weder den Ausdruck, noch hatte ich eine Idee, was er bedeuten mochte. Wahrscheinlich hatte er etwas mit dieser Jahreszeit zu tun. Mit der Kälte, die sich täglich über uns legte, wenn wir uns an der frischen Luft aufhielten.

Trotzdem sah ich häufig in den Himmel und suchte nach dem Zeugs, das angeblich „in der Luft hing“. Gesehen hatte ich es bisher allerdings nicht.



Noch hatte ich mich nicht an den Winter gewöhnt. Nicht an die jetzige Jahreszeit, die mein Herrchen manchmal als „Winterzauber“ bezeichnete.

Zauber? Wo bitteschön soll hier ein Zauber sein? Zauberer gibt es nur im Märchen. Im echten Leben werden keine Wünsche erfüllt, und Wunder gibt es ebenfalls nicht.

Missmutig stapfte ich hinter Ben her und war in meinen Gedanken versunken.

Während mein Herrchen von der Winterzauberwelt sprach, hatte ich zuletzt manchmal komische, fast negative Gedanken. Ich ärgerte mich zwar meistens darüber, konnte mich allerdings nicht gegen sie wehren. Doch zum Glück waren es immer nur kurze Momente. Augenblicke, die Ben erkannte, und mich fragte, ob …

Na, Kleiner, bist du mal wieder im Winterblues verschwunden?“ Ben hatte meine Gedanken unterbrochen und lachte.

Darüber, dass er genau die Worte aussprach, an die ich gedachte hatte, wunderte ich mich nicht mehr. Häufig war es so, da uns etwas ganz Besonderes verband.

Dann kehrte ich nochmals zurück in meine Gedankenwelt von eben. Schon jetzt war alles Negative aus meinem Kopf verschwunden. Zum Glück. Immerhin war mir selbst klar, dass gerade ich an Wunder glauben musste. Ohne ein solches Wunder wäre ich niemals bei dem tollsten Menschen der Welt gelandet, und so wollte ich mich bemühen, meinen Lebenszauber komplett zurückzugewinnen.




Dann ging mein Blick wieder zu einem der leeren Fahnenmaste. Dort oben hing noch vor gar nicht langer Zeit meine Lieblingsfahne. In gelb, rot und blau leuchtete sie, und mir gefiel die Farbzusammenstellung, obwohl es bei der Fahne eigentlich weniger um die Farben ging.

Klaar Kiming. Leise sprach ich diese Worte und sah meinen Menschen dabei an.

Bereits an meinen ersten Tagen auf der Insel hatte Ben mir diese Worte mitgegeben. Falsch, er hatte sie mir vorgelesen, da sie auf vielen Fahnen verewigt waren. Allerdings standen die beiden Worte nicht alleine darauf. Mit ihnen zusammen waren dort noch weitere zu finden.

Zu finden und zu lesen. Daher lernte ich sehr schnell, was hier im hohen Norden, hier auf dieser wunderschönen Insel, hier in meiner neuen Heimat Sylt, angesagt war.

Nach welchem „Gesetz“ hier gelebt wurde.

Okay, es war wahrscheinlich nicht im herkömmlichen Sinne ein Gesetz. Allerdings etwas, womit schon damals die friesischen Kapitäne ihre Gefühle ausdrückten.

Rüm Hart, Klaar Kiming. So steht es komplett auf den Fahnen. Selbstverständlich konnte ich zunächst nichts damit anfangen. Woher sollte ich diese Ausdrücke auch kennen? Zypern war mein Geburtsland, und dort kannte niemand diese Worte, geschweige denn deren Bedeutung.

Selbst, nachdem mir mein Herrchen die Worte übersetzt hatte, fiel es mir schwer, etwas mit ihrer Bedeutung anzufangen.

Weites Herz und klarer Horizont“, so beschrieb Ben sie mir, und ich weiß noch ganz genau, dass ich ihn lediglich fragend angesehen hatte.



Heute war es anders. Ich hatte inzwischen nicht nur verstanden, was mir mein Lieblingsmensch mitteilen wollte. Nein, ich hatte mir diese Worte im wahrsten Sinne zu Herzen genommen und mir meinen eigenen Leitsatz für das Leben daraus gebastelt.

Mein Herz hatte sich hier auf Sylt geöffnet. Dank Ben, unserem Vertrauen und unserer Liebe, war aus meinem verschlossenen, kleinen Herzen ein geöffnetes geworden. Ein weites Herz!

Dank der Freundschaft zu Ben war es mir möglich geworden, endlich den Sinn des Lebens zu erkennen. Ich hatte nicht nur ein Herrchen, sondern auch die Freude am Leben gefunden. Endlich war es mir möglich, positive Dinge zu genießen, und es gab Momente, in denen ich mich auf die Zukunft freute. Ja, ich hatte einen klaren Horizont im Blick und war glücklich darüber.



Je mehr Freude ich am Leben verspürte, und je glücklicher ich wurde, umso mehr stieg allerdings auch ein anderer Wunsch in mir auf. Ich wollte mein Glück teilen. Verspürte den Drang, andere an meiner Freude teilhaben zu lassen. Wollte geben, da ich selbst so viel bekam.

Auch hier war Ben mein Vorbild gewesen. Häufig dachte ich an den Tag zurück, an dem wir in das Sylter Tierheim gefahren waren, um dort eine große Futterspende abzugeben.

Es war der Tag, an dem ich nicht nur Milo wiedergesehen und besser kennengelernt hatte, der inzwischen zu meinem besten vierbeinigen Freund wurde. Nein, dieser Tag war es auch, an dem ich beschlossen hatte, meine Freude zu teilen. Zum Glück hatte ich es so gemacht, da ich durch mein Tun lernen durfte, dass Freude sich verdoppelt, wenn man sie teilt.

Doch ich konnte es nur machen, weil Ben mir half. Er unterstützte mich, und so holten wir mehrmals in der Woche Milo im Tierheim ab und starteten gemeinsame Unternehmungen. Zusammen mit Ben und meinem besten Hundefreund lernte ich die Insel immer besser kennen und wusste schon häufig, bevor wir am Zielort angekommen waren, wohin uns die Autofahrt führen würde.




Auch heute war ein solcher Tag. Schon um 9:30 Uhr hatten wir Milo, den großen, kräftigen, schwarzen Labrador, aus dem Tierheim abgeholt. Wir wollten zusammen nach List fahren und dort an einem meiner Lieblingsstrände spazieren gehen. Falsch. Ben wollte einen Spaziergang machen. Milo und ich wollten ausgiebig toben.

Als wir auf dem Parkplatz am Lister Hafen ankamen, hüpften wir sofort aus dem Wagen. Ohne an die Leine zu müssen, durften Milo und ich zum Strandabschnitt gehen. Ben hatte den Wagen fast direkt dort geparkt und daher auf die Leinen verzichtet. Er wusste genau, dass er sich in diesen Momenten auf uns verlassen konnte.

Außerdem hatten wir bereits Winter, und die Insel war endlich nicht mehr so voll, wie sie es noch vor einigen Wochen gewesen war.

Wir hatten zwar noch nicht den kalendarischen Winter, der würde erst in ungefähr drei Wochen kommen, hatte Ben mir zumindest erzählt, allerdings fand ich es jetzt schon häufig kalt und war der Meinung, dass dieser offizielle Winteranfang gerne wegbleiben konnte.

Ein kleines Stückchen waren wir bereits den holprigen Weg gegangen, als wir Bens Ruf hörten. Ungefähr auf der Höhe des Hauses, in dem die Naturgewalten nachgestellt wurden, gab mein Herrchen uns frei. Wir durften uns von ihm entfernen, wussten allerdings, dass wir bei einem Ruf oder seinem Pfiff sofort bei ihm antreten mussten.

Allerdings gab es keinen Grund dafür, und so konnten wir ausgiebig und ungestört unserem Spieltrieb frönen.



Ben saß auf einem großen Stein und sah uns zu. In der Hand hielt er sein schwarzes Notizbuch, und manchmal konnte ich erkennen, wie er etwas hinein schrieb. Was es war, wusste ich selbstverständlich nicht. Allerdings ging ich davon aus, dass es bestimmt für eines seiner Bücher gedacht war und legte sofort den nächsten Sprint ein.

Los, Milo, fang mich. Du kriegst mich nicht. Laut rief ich die Worte und war schnell einige Meter von meinem Freund entfernt.

Ich hab dich gleich. Auch Milo war losgelaufen und näherte sich mir mit großen Schritten. Doch immer, wenn er ziemlich nah an mir dran war, schlug ich einen Haken, und verschaffte mir so erneut einen Vorsprung. Vielleicht war mein schwarzer Freund etwas schneller, ich dafür um einiges wendiger und nutze es natürlich aus.

Eine ganze Weile später hatte mich Milo noch immer nicht erwischt. Als ich ihm, nachdem ich einen meiner flinken Haken geschlagen hatte, ins Gesicht sehen konnte, sah ich seine Erschöpfung. Deutlich war sie in seinen Augen zu erkennen, und auch sein Laufstil war nicht mehr so wie noch vor einigen Minuten.

Nach meinem nächsten Bogen lief ich daher in Bens Richtung und ließ mich in den Sand fallen. Wenige Sekunden später tat Milo es mir gleich. Allerdings erinnerte mich sein Fallenlassen eher an ein Plumpsen. Amüsiert darüber sah ich zu Ben, der mir prompt ein Augenzwinkern schenkte. Ja, wir verstanden uns fast immer ohne Worte. Was gut war, da Milo unsere Gedanken nicht mitbekommen sollte. Viel zu lange war er fast durchgehend in dem blöden Zwinger im Tierheim gewesen. Natürlich mit wenig Bewegung und kaum Spaziergängen.


Möchtet ihr ein Leckerli?“

Sag mal, mein Lieblingsherrchen, hast du noch mehr solch blöder Fragen auf Lager? Kopfschüttelnd sah ich zu Ben. Ganz ehrlich - seine Frage war echt überflüssig.

Wenn Jake nicht möchte, heißt es ja nicht, dass du nicht willst. Wie ist es mit dir, Milo?“ Mit diesem dusseligen Ich-mach-auf-blöd-Lächeln strich Ben über Milos bulligen Kopf.

Nerv nicht. Rück die Sticks raus und alles ist gut. Mit schrägem Kopf und schiefem Blick sah ich Ben an. Auch, wenn ich mich bemühte, gelang es mir nicht, ernst zu bleiben.

Dann will ich mal nicht so sein. Der ist für dich, Milo, und dieser fantastische, leckerhafte und wohlriechende Stick, der ist für … ja, der ist für den kleinen … also, dieser Stick ist für …“

Immer die gleiche Arie ist langweilig. Gib her das Teil. Angenervt sah ich zu meinem Herrchen.

Der kleine Jake bekommt diesen leckerhaften Stick.“ Endlich hatte Ben sein albernes Programm abgespult und mir das Leckerli zwischen die Zähne gesteckt.

Wer Spaß an dieser Geschichte gefunden hat, darf gern auch mehr davon lesen.


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